Am Rande der Gesellschaft – Fábio Sandei

Ein Projekt für medizinische Versorgung…

Salvador

Guidos Traum

Der Stadtteil Cristóvão liegt am äußersten nördlichen Stadtrand zwischen der breiten Ausfallstraße und dem Nirgendwo. Diese mehr oder weniger wild in die Hänge gebaute Ansammlung von Häusern bietet siebzig- bis einhunderttausend Menschen eine Unterkunft und ist geprägt von Arbeitslosigkeit, Drogen und Mauern. Die Dienste der Stadtverwaltung wie Gesundheitsfürsorge und Bildungseinrichtungen kommen hier erst ganz zuletzt an, wenn überhaupt. Vor über 20 Jahren begann die katholische Gemeinde daher mit dem Aufbau einer Sozialstation. Padre Cristóvão – er heißt wohl zufällig so wie der Stadtteil und seine Pfarre – ist bis heute eine treibende Kraft für das Projekt, das gerade stark ausgebaut wird. Er stammt aus Turin und konnte von dort einige Unterstützer für das Projekt gewinnen. Von Anfang an mit dabei war die Brasilien-Initiative Freiburg, die vor allem den Bereich Bildung unterstützt. Mit ihrer Hilfe konnte der Trägerverein ein Grundstück gegenüber hinzu kaufen, auf dem nun ein neues Gebäude für den Kindergarten entsteht. Gut die Hälfte der etwa 80 Mitarbeiter sind im Bereich Bildung tätig, wozu neben dem Kindergarten im Zentrum drei kleinere Außenposten in den „comunidades“ des Stadtteils gehören sowie Angebote für Jugendliche und alleinerziehende Mütter.

Etwa 30 Mitarbeiter im Bereich Gesundheit bieten eine Basisversorgung für Diagnose, Arzneien, Prävention und Physiotherapie. Die übrigen gehören zur Verwaltung für Personendaten, Buchführung und Öffentlichkeitsarbeit. Letzteres ist für eine Einrichtung unerlässlich, die für Gebäude und Ausstattung komplett auf Spenden und Partnerschaften angewiesen ist. Bei den Außenkontakten hat auch auch der Vorsitzende und Geschäftsführer Gilmar seinen Schwerpunkt.

Die Zusammenarbeit mit der Präfektur bezüglich der Finanzierung des Personals klappt gut, denn die Kommune weiß, dass sie die sozialen Dienste, zu denen sie verpflichtet ist, nicht annähernd so effektiv umsetzen kann wie der freie Träger. Die Mitarbeiter des Vereins sind motivierter, weil sie sich mit der Einrichtung und ihren Werten identifizieren. Sie behandeln die Menschen freundlich und ganzheitlich, anders als in vielen staatlichen Einrichtungen. Hinzu kommt, dass die Regeln bei staatlichen Stellen viel starrer und bürokratischer sind, auch bei den Mitarbeitern. So darf ein Arzt im Dienst der Stadt pro Tag nur eine bestimmte Anzahl von Patienten behandeln, egal worum es geht. Hier im Zentrum ist das flexibler.

Die Flexibilität zeigt sich auch beim Kindergarten. Während die städtischen auf die Ganztagsbetreuung ausgerichtet sind, hat die Leitung von F. Sandei das vor einigen Jahren wieder geändert. Die Nachfrage nach Plätzen war mehr als doppelt so groß wie das Angebot. Daher haben die Mitarbeiter eine Befragung durchgeführt zu den häuslichen Bedingungen. Es kam heraus, dass in fast allen Haushalten hier im Stadtteil nicht die Beaufsichtigung der Kinder das Hauptproblem ist, sondern die Versorgung mit Essen und die Förderung sozialer und kognitiver Fähigkeiten. Viele der Mütter sind arbeitslos oder arbeiten nur zu begrenzten Zeiten. Ansonsten lebt meistens eine nicht berufstätige Person aus der Verwandtschaft mit im Haushalt oder in der Nachbarschaft. Daher hat der Verein entschieden, die Ganztagsbetreuung den Einrichtungen der Stadt zu überlassen und stattdessen die doppelte Anzahl an Kindern in getrennten Vor- und Nachmittagsgruppen zu versorgen.

Der Erfolg des Zentrums hat dazu geführt, dass das vor 20 Jahren errichtete Gebäude aus allen Nähten platzt. Gilmar und Padre Cristóvão haben Förderungen aufgetrieben, mit denen sie zwei Neubauten beginnen konnten. In einem, direkt hinter dem bisherigen Haus, werden Verwaltung, Küche und Physiotherapie untergebracht. Die Finanzierung für diesen Teil ist gesichert und mit der Fertigstellung rechnet Gilmar bis zum Jahresende. Auf der anderen Straßenseite, dem hinzu gekauften Grundstück, entsteht der neue Kindergarten. Die Parterre ist im Rohbau fast fertig. Für die erste Etage mit den Gruppenräumen gibt es finanzielle Zusagen, so dass der Kindergarten im nächsten Jahr umziehen kann. Das alte Gebäude wird dann komplett für die Gesundheitsversorgung hergerichtet. Zu den bisherigen Diensten sollen noch Orthopädie und kleinere ambulante Operationen hinzu kommen.

Das staatliche Gesundheitssystem findet Gilmar vom Prinzip her sehr gut, weil es für alle eine kostenlose Behandlung vorsieht unabhängig von einer Versicherung. Das Problem für die Bedürftigen ist allerdings, überhaupt zu einer Einrichtung zu kommen, die eine angemessene Behandlung anbietet. Das Angebot ist oft weit weg oder schlecht, weil die staatliche Erstattung für einfache Behandlungen viel zu gering ist. Die Beträge wurden seit vielen Jahren nicht mehr angepasst und liegen derzeit für eine ärztliche Beratung bei 10 Reais, also unter 2 Euro.