Bürgerradio neun Jahre auf Sendung

Das Bürgerradio ist eine Erfolgsgeschichte, denn in den neun Jahren seit der mit unserer Hilfe erstrittenen Sendeerlaubnis hat Radio São Francisco FM 104 durchgängig gearbeitet und kam dabei ohne weitere Unterstützung von GN aus. Nach wie vor ist ACCS (Associação de Comunicação Comunitária Sobradinho) der Trägerverein des Radios mit etwa 25 Mitgliedern. Vorstand und Aufsichtsrat bestehen zusammen aus elf Mitgliedern, wovon fünf die drei Kassenprüfer und ihre beiden Vertreter sind. Gemäß den Vorgaben der brasilianischen Gesetze wurde die Mandatszeit vor einiger Zeit auf vier Jahre erhöht. Der erste und zweite Vorsitzende können nur einmal wiedergewählt werden. Letzteres hat dazu geführt, dass es einen personellen Wechsel gab. Statt Paulo Ferreira ist nun Renalice, seine Frau, die erste Vorsitzende.

Im Gespräch vor Ort waren außer Renalice vier weitere Mitgleider des Vorstands anwesend. Wir gewannen allerdings den Eindruck, dass sie über die Einzelheiten der Programmgestaltung und der Finanzierung des Radio-Betriebs nur beschränkt Auskunft geben können. Der Trägerverein ist juristisch für den Betrieb des Radios und die Ausstattung verantwortlich, hat jedoch inzwischen eher eine repräsentative – um nicht zu sagen symbolische – Aufgabe. Das Radio-Team arbeitet weitgehend unabhängig vom Verein und seinem Vorstand, abgesehen von Renalice. Das Team besteht aus einem Geschäftsführer, Filipe, dem Sohn von Renalice und Paulo, zwei Tontechnikern und etwa 15 Sprechern. Einer von den Sprechern ist Paulo mit seiner markanten Sendezeit am Samstag Vormittag, die von einigen unserer Bekannten in Sobradinho oft gehört wird. Die beiden Tontechniker arbeiten als „Sub-Unternehmer“ mit festem Arbeitsumfang für das Radio.

Der Sendebetrieb läuft täglich von 6 Uhr bis 22 Uhr. Mit den Sprechern gibt es Verträge, die ihnen die Hälfte der Werbeeinnahmen aus ihrer Sendezeit zugestehen. Die andere Hälfte geht an das Radio beziehungsweise seinen Trägerverein. Die Bezahlung der Techniker, des Geschäftsführers und der Ausstattung bestreitet der Verein aus den Werbeeinnahmen und aus dem Verkauf von Sendezeit. Letzteres bedeutet, dass einige Blöcke des wöchentlichen Programmschemas gegen Bezahlung komplett in die Produktion und Verantwortung von Dritten übergeben werden. Zu dieser Öffnung des Programms sind die Bürgerradios per Gesetz verpflichtet. In einem Fall ist es zu einer Klage gegen das Radio gekommen, weil jemand behauptete, man würde ihm ohne triftigen Grund den Erwerb von Sendezeit verwehren. Das Verfahren wurde vor kurzem eingestellt. Daran wird deutlich, dass der Vorstand nur in gut begründeten Fällen die Vergabe von Sendezeit verwehren kann. Leider hat das zur Folge, dass einige Programmblöcke von drei der Pfingstkirchen aus Sobradinho gefüllt werden. Das ist nicht unbedingt im Sinne der Initiatoren des Radiosenders. Diese Kirchen breiten sich in Brasilien immer weiter aus und verwenden dabei teils aggressive Methoden des Missionierens, beuten ihre Mitglieder finanziell aus und nehmen politischen Einfluss mit extrem rechter Gesinnung. Darüber steht dem Vorstand aber kein Urteil zu, da die Käufer von Sendezeit ihre Inhalte selbst verantworten müssen.

In den letzten drei Jahren wurde die Lage des Radios schwieriger. In der Pandemie sind die Einnahmen stark zurück gegangen, da die wirtschaftliche Unsicherheit eine größere Zurückhaltung bei Ausgaben für Werbung bewirkt hat. Erschwerend kam hinzu, dass Überspannungen – vielleicht ein Blitzeinschlag – wesentliche Teile der Sendeanlage zerstört haben und ACCS sie ersetzen musste. Weil dafür alle verfügbaren Mittel eingesetzt wurden, konnte ACCS für die Ausstattung des Studios schon vier Jahre keine Inspektion mehr durchführen.

Auf längere Sicht wünscht sich der Vorstand eine Verstärkung der Sendeanlage zur Erhöhung der Reichweite. Seit letztem Jahr ist per Gesetz der Radius vergrößert worden, in dem Bürgerradios ihr Programm ausstrahlen dürfen. Bisher betrug er 50 Kilometer. Ein größeres Sendegebiet könnte sich positiv auf die Werbeeinnahmen auswirken, insbesondere von Anbietern aus Petrolina. Dazu muss allerdings der Sendemast um einige Meter verlängert werden. Das bleibt vorerst ein Wunschtraum.

In den Gesprächen mit dem Vorstand und mit Paulo wurde deutlich, dass sie sich Unterstützung von GN für die aktuelle Konsolidierung des Radios wünschen. Besonderes nötig hat es die Grundausstattung des Studios, die noch auf gebrauchten Geräten aus der Zeit vor der Gründung basiert. Wir nehmen die Anfrage mit nach Deutschland für unsere nächste Mitgliederversammlung.

Besuche bei PACS und dem Bürgerradio

Sobradinho, 15.10.2023

Das „Projeto Sobradinho“

Auch heute stehen „alte Bekannte“ auf der Besuchsliste. Wir besuchen die Initiative PACS und das Bürgerradio.

Dass sich auf dem Grundstück der PACS etwas tut, sahen wir schon, als wir vor einigen Tagen mit unseren Fahrrädern vorbei fuhren. Nun haben wir die Möglichkeit, mit Cleiber, aktuell der Vorsitzende des Vereins, und anderen Mitarbeiter:innen zu sprechen. Die jüngeren Leute unter ihnen haben alle als Kinder und Jugendliche einige Zeit in dieser Einrichtung zugebracht.
Es ist inzwischen eine überwiegend ehrenamtliche Initiative, die am Wochenende eine Betreuung von Kindern und Jugendlichen anbietet. Gelegentlich stellt die Stadtverwaltung (Präfektur) einen Mitarbeiter für einen Kurs zu Verfügung, zur Zeit aber leider nicht. Wir sehen eine Nachhilfestunde in Mathematik und eine weitere kleine Gruppe, in der die 2. Stunde eines Flötenunterrichts stattfindet. Später gibt es noch Judoübungen. Alles läuft unter Anleitung von freiwilligen Mitarbeitenden.

Rund 50 Familien tragen die Arbeit hier; manche entsenden keine Kinder, sondern bewirtschaften eine Parzelle Gemeinschaftsgarten, der sich dem bebauten Teil anschließt. Die Parzellen stellt PACS kostenfrei zur Verfügung. Da Kleber Agronom ist, kann er den Familien Hinweise geben, wie der Anbau ertragreich und doch nachhaltig gelingt. Die gesamte Fläche, die PACS besitzt, ist recht groß, und ich frage mich, wie diese sinnvoll von dem kleinen Kreis von sechs Aktiven zu verwalten ist. Guido erklärt mir, dass in der ersten Phase des Projekts die „World Vision“ einen Stab von sieben Hauptamtlichen Kräften finanziert hat, um eine umfassende soziale Assistenz für die ärmsten Viertel („Quadras“) von Sobradinho aufzubauen. Nach mehreren Verlängerungen der ursprünglich auf fünf Jahre angelegten Förderung stellte die „World Vision“ ihre Finanzierung ein. Die Hoffnung, dass die Stadtverwaltung von Sobradinho dieses soziale Projekt übernehmen und weiter betreiben würde, hatte sich leider nicht erfüllt. Nun versuchen die ehrenamtlichen Kräfte ihr Mögliches.

Die Arbeiten bei der Einfriedung des Geländes in den letzten Wochen rühren auch daher, dass PACS von Einbrüchen betroffen war, die beträchtliche Vandalismusschäden hinterließen. Nach meinem Eindruck arbeitet die Initiative auf einem Niveau, bei dem wir, GN, hier mir recht geringen Mitteln schon Einges bewirken können. Konkret wäre die Erhöhung des Zaunes an den Längsseiten eines Sportplatzes hilfreich. Damit die Bälle nicht beim Nachbarn landen. Das führt nämlich immer mal wieder zu Auseinandersetzungen wegen kaputter Ziegel o.ä.

Das Bürgerradio

Ein weiterer Besuch steht an: Das Bürgerradio, dem wir zum Start beim Aufbau des Sendeturms geholfen haben. Sowohl Pedro, einer der Programm-Macher, als auch Renalice, die Vorsitzende des Trägervereins begrüßen Guido sehr herzlich und erzählen davon, was in den vergangenen Jahren geschah. Guido wird dann auch in einem Live-Interview im Radio-Programm zu der Situation der Schulen in Deutschland und seiner eigenen Tätigkeit befragt. Anschliessend schildert Renalice sehr ausführlich die rechtliche Situation des Trägervereins.
Angesichts der Pandemie und ihrer Folgen ist die materielle Situation natürlich nicht besser geworden. Da das Radio sich weitgehend selbst tragen soll, gibt es hier m.E. nur wenige Anknüpfungspunkte zur Zusammenarbeit. Um insbesondere die Folgen der Pandemie abzufedern, könnte GN hier über die eine oder andere Unterstützung nachdenken.

Mehr dazu im Beitrag zum Radio

Bürgerradio

Aufbau eines öffentlichen bürgernahen Radiosenders für Sobradinho

Die Idee eines Bürgerradios äußerte Paulo Ferreira, Gewerkschaftsmitglied und engagiertes Mitglied der katholischen Kirchengemeinde von Sobradinho, erstmals im August 1997 gegenüber seinem deutschen Freund aus Wachtendonk. Schon Ende desselben Monats gründete Ferreira den „Verein für Gemeinschaftskommunikation von Sobradinho“ (ACCS).

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