Besuch bei unseren „Nachbarn“ in Brasilien
Weiter lesen →Autor: Jochen Anger
Galerie: Der „Tag des Kindes“ in Gente Valente
Der internationale Tag des Kindes ist seit vielen Jahren ein besonderer Höhepunkt für die Kinder und Mitarbeiterinnen von Gente Valente. Ausgelassenes Spielen, Tanzen, Toben und einige Leckereien durchbrechen den Alltag der Kinder. Einige Frauen aus Sobradinho und aus den nahen Großstädten Juazeiro und Petrolina spenden seit Jahren immer wieder für die (gemietete) Ausstattung des Festes: Wasserrutsche, Fußball-Tobe-Burg mit Wasser, Spielgeräte, Zuckerwatte und eine riesige Torte, eingerahmt von der Deko mit Zeichentrick-Figuren aus dem brasilianischen Fernsehen. Die Lautstärke ist unbeschreiblich, aber es ist ein fröhlicher Lärm.
Besuche bei PACS und dem Bürgerradio
Sobradinho, 15.10.2023
Das „Projeto Sobradinho“
Auch heute stehen „alte Bekannte“ auf der Besuchsliste. Wir besuchen die Initiative PACS und das Bürgerradio.
Dass sich auf dem Grundstück der PACS etwas tut, sahen wir schon, als wir vor einigen Tagen mit unseren Fahrrädern vorbei fuhren. Nun haben wir die Möglichkeit, mit Cleiber, aktuell der Vorsitzende des Vereins, und anderen Mitarbeiter:innen zu sprechen. Die jüngeren Leute unter ihnen haben alle als Kinder und Jugendliche einige Zeit in dieser Einrichtung zugebracht.
Es ist inzwischen eine überwiegend ehrenamtliche Initiative, die am Wochenende eine Betreuung von Kindern und Jugendlichen anbietet. Gelegentlich stellt die Stadtverwaltung (Präfektur) einen Mitarbeiter für einen Kurs zu Verfügung, zur Zeit aber leider nicht. Wir sehen eine Nachhilfestunde in Mathematik und eine weitere kleine Gruppe, in der die 2. Stunde eines Flötenunterrichts stattfindet. Später gibt es noch Judoübungen. Alles läuft unter Anleitung von freiwilligen Mitarbeitenden.
Rund 50 Familien tragen die Arbeit hier; manche entsenden keine Kinder, sondern bewirtschaften eine Parzelle Gemeinschaftsgarten, der sich dem bebauten Teil anschließt. Die Parzellen stellt PACS kostenfrei zur Verfügung. Da Kleber Agronom ist, kann er den Familien Hinweise geben, wie der Anbau ertragreich und doch nachhaltig gelingt. Die gesamte Fläche, die PACS besitzt, ist recht groß, und ich frage mich, wie diese sinnvoll von dem kleinen Kreis von sechs Aktiven zu verwalten ist. Guido erklärt mir, dass in der ersten Phase des Projekts die „World Vision“ einen Stab von sieben Hauptamtlichen Kräften finanziert hat, um eine umfassende soziale Assistenz für die ärmsten Viertel („Quadras“) von Sobradinho aufzubauen. Nach mehreren Verlängerungen der ursprünglich auf fünf Jahre angelegten Förderung stellte die „World Vision“ ihre Finanzierung ein. Die Hoffnung, dass die Stadtverwaltung von Sobradinho dieses soziale Projekt übernehmen und weiter betreiben würde, hatte sich leider nicht erfüllt. Nun versuchen die ehrenamtlichen Kräfte ihr Mögliches.
Die Arbeiten bei der Einfriedung des Geländes in den letzten Wochen rühren auch daher, dass PACS von Einbrüchen betroffen war, die beträchtliche Vandalismusschäden hinterließen. Nach meinem Eindruck arbeitet die Initiative auf einem Niveau, bei dem wir, GN, hier mir recht geringen Mitteln schon Einges bewirken können. Konkret wäre die Erhöhung des Zaunes an den Längsseiten eines Sportplatzes hilfreich. Damit die Bälle nicht beim Nachbarn landen. Das führt nämlich immer mal wieder zu Auseinandersetzungen wegen kaputter Ziegel o.ä.
Das Bürgerradio
Ein weiterer Besuch steht an: Das Bürgerradio, dem wir zum Start beim Aufbau des Sendeturms geholfen haben. Sowohl Pedro, einer der Programm-Macher, als auch Renalice, die Vorsitzende des Trägervereins begrüßen Guido sehr herzlich und erzählen davon, was in den vergangenen Jahren geschah. Guido wird dann auch in einem Live-Interview im Radio-Programm zu der Situation der Schulen in Deutschland und seiner eigenen Tätigkeit befragt. Anschliessend schildert Renalice sehr ausführlich die rechtliche Situation des Trägervereins.
Angesichts der Pandemie und ihrer Folgen ist die materielle Situation natürlich nicht besser geworden. Da das Radio sich weitgehend selbst tragen soll, gibt es hier m.E. nur wenige Anknüpfungspunkte zur Zusammenarbeit. Um insbesondere die Folgen der Pandemie abzufedern, könnte GN hier über die eine oder andere Unterstützung nachdenken.
Mehr dazu im Beitrag zum Radio
Die soziale Wirklichkeit
Sobradinho, 10.10.2023
Diesen Tag beginnen wir recht früh in Gente Valente. Dort beginnt jeder Morgen mit einer Andacht für die Mitarbeiterinnen. Das Team von jeweils einer der verschiedenen Gruppen bereitet sie reihum vor.
Währenddessen trudeln die Kinder ein. Nicht jedem fällt es leicht, sich von der Mutter zu lösen. Aber allzu viel Zeit, dem Kind „über die Schwelle“ zu helfen, bleibt nicht. Dafür sind es schlicht zu viele Kinder. Ich stehe etwas unschlüssig herum. Christiane „schubst“ mich in einen der Gruppenräume und ich setze mich in den Kreis der Kinder. Das Mädchen, das neben mir sitzt, staunt mich an und nimmt die kommenden 10 Minuten nicht mehr den Blick von mir. Gebete und Lieder, begleitet von Bewegungen füllen die 20 Minuten bis zu einer ersten Mahlzeit. Es gibt Obst und einfache Kekse. Ich vermute für etliche der Kinder ist es wirklich die erste Mahlzeit.
In Brasilien liebt man nicht nur Uniformen, sondern auch Hymnen; und es gibt viele: für Brasilien, Bahia, Sobradinho, Kinder … So nehmen alle in dem großen Patio Aufstellung und es wird kräftig geschmettert. Aber man merkt, dass gerade die kleinsten, schnell müde werden oder es noch sind…
Besuch bei den „speziellen“ Kindern
Nach einem Zwischenstopp in der Casa Antonita fahren Guido und ich zu einer Betreuungseinrichtung für Menschen mit starken Einschränkungen, der APAE. Menschen mit Behinderung nennt man in Brasilien auch „pessoas especais“, spezielle Menschen. Guido wurde von einer Mitarbeiterin hierhin eingeladen. Die Einrichtung kooperiert in einigen Dingen mit der Kindertagesstätte Gente Valente. Einige Kinder von hier hat Gente Valente in der Corona-Zeit aufgenommen. Ein Mädchen wollte partout nicht mehr weg. Ein paar Mal im Jahr gibt es gegenseitige Besuche mit gemeinsamen Aktivitäten.
Mir verschlägt es erst einmal die Sprache. In einem Raum mit nacktem Betonfussboden treffen wir auf knapp 10 Personen. Ein Mann in einem Rollstuhl scheint nur aus Kopf und Rumpf zu bestehen. Eine junge Frau mit multiplen spastischen Lähmungen kniet/liegt auf dem Boden. Downsyndrom oder Mikrozephalie gehören zu den „leichteren“ Einschränkungen. Die Leiterin der Einrichtung berichtet von ihrer Arbeit. Ich zähle neben der Leiterin und einer Köchin 4 Mitarbeiterinnen. Dass es einen festen Mitarbeiterstamm hat, betont mit einem gewissen Stolz die Leiterin. Denn die Kommune versucht immer mal wieder, Leute, für die es keine Verwendung gibt, zu ihr „abzuschieben“. Doch ohne ein beträchtliches Engagement und Liebe für diese Menschen ist diese Arbeit in keiner Weise zu schaffen.
Neben dem erwähnten Raum gibt es drei weitere. Hier versuchen Sie eine elementare Bildung. Die Lernmittel stellen sie selbst mit Hilfe von Vorlagen aus dem Internet her. Vieles, was die Leiterin schildert, kennen wir von Marta. Auch hier kämpft ein freier Träger APAS mit der Kommune um die nötigen Mittel. Hinzu kommt, dass solche Entwicklungsstörungen in der Gesellschaft und auch in den betroffenenen Familien wenig Akzeptanz und Verständnis finden.
Am späten Abend wird noch einmal ausführlich mit dem Vorstand über die Stiftung FUNANB und deren Satzung gesprochen. Es ist eine Fortsetzung des Gesprächs der vergangenen Woche. Auch hier wird Guido noch ausführlich berichten.
Alltag in Sobradinho
Sobradinho, 04.10.2023
Diesen Tag verbringen Guido und ich damit, den Computerraum der Casa Antonita aufzuräumen und in einen arbeitsfähigen Zustand zu bringen. Ich verschone die Leser:innen (und mich) mit Schilderungen der Details. Wir verbringen einen ganzen Tag damit, um einen von ca. 10 Rechnern zu reanimieren und die von uns mitgebrachten bzw. den gestern erworbenen Rechner einzurichten. So können wir vier Computer einigermaßen funktionierend zurücklassen. Doch damit ist nur eine Voraussetzung für die Arbeit von Schülerinnen am Computer geschaffen. Eine erste elementare Einweisung der anwesenden Schülerinnen zeigt, dass die CA in dieser Arbeit wieder ganz am Anfang steht.
Mittwoch, 05.10.2023
Nachdem wir Restarbeiten im Computerraum erledigt und einfache Lernprogramme installiert haben, beginnen wir mit der „1. Stunde“. Wir sehen, dass erst einmal die Handhabung von Maus und Tastatur eingeübt werden müssen. Es wird sicher ein weiter Weg, doch es ist ein Interesse da und bei manchen auch eine rasche Auffassungsgabe. Ohnehin bleibt das Staunen über die Fremden aus dem fernen Land. Es ist bei den Teenagern nicht anders als bei den Grundschülern in der ersten Woche. Nicht nur diese erste Schulung sondern auch die übrige Arbeit der Casa Antonita wird am fortgeschrittenen Abend zum Thema.
Einsatz in Gente Valente
Dann ein typischer Einsatz fuer Marta: Sie bekommt einen Hinweis, dass sie eine Spende für ihre Einrichtungen bei der „banco dos alimentos“ abholen kann, einem Großmarkt. In der größten Hitze des Nachmittags 50 KM nach Petrolina zu fahren, ist kein Spass, zu mal wir vorgestern die Strecke schon genossen haben! Doch wenn man zweimal ein Angebot ausschlägt, „ist man raus“! Ich fahre mit, damit wir uns gegenseitig wach halten. Eimal mehr ist der Pickup von Nutzen. Genau tragt Marta die Daten in ein Fahrtenbuch ein.
Der Vorstand
Der gesamte Vorstand der Stiftung, die Gente Valente und Casa Antontita trägt und „Fundação Antonita Bandres“ heißt, trifft sich am Abend mit Guido und mir. Details der recht langen Sitzung wird Guido an anderem Ort berichten. Es wurde auch mir mit sehr begrenzten Sprachkenntnissen klar, dass viel im Umbruch ist. Die Zukunft von FUNAB bzw. Casa Antonita liegt im Dunklen, wie schon öfter.
Bei der Gelegenheit haben die Freunde Guido und mir Fahrräder zur Verfügung gestellt. So fahren wir die etwa 3 km vom Haus Cândidas, wo das Treffen stattfand, zurück zu Martas Haus. Man tut gut daran, auf schlafende Hunde zu achten – mitten auf der Straße! Die, die aus dem Dunkel wild kläffend auf uns zu schießen, bemerken wir ohnehin.
Galerie: Alles eine Frage der Technik!
Wir lösen ein Versprechen ein, dass Guido Marta 2015 gegeben hatte: Ich komme bald wieder und dann machen wir den Computerraum wieder flott! Den Computerraum der Casa Antonita hat erstmalig 2006 eine Gruppe von Globale Nachbarschaft mit gespendeten und gekauften Geräten eingerichtet. Einige der Geräte stammen immer noch aus dieser Zeit! Nach einigen Tagen haben wir es geschafft, ein paar wieder zum Laufen zu bringen und können einen Basis-Kurs mit den Mädchen beginnen…
Galerie: Weitere Facetten des Schulalltags
Einmal im Jahr findet hier der große Erdbeer-Markt als Volksfest statt.
In den Wintermonaten freut man sich darüber im empfindlich kühlen Hochland.
Undichte Wasserleitungen für die sanitären Anlagen haben Spuren hinterlassen.