Die soziale Wirklichkeit

Sobradinho, 10.10.2023

Diesen Tag beginnen wir recht früh in Gente Valente. Dort beginnt jeder Morgen mit einer Andacht für die Mitarbeiterinnen. Das Team von jeweils einer der verschiedenen Gruppen bereitet sie reihum vor.
Währenddessen trudeln die Kinder ein. Nicht jedem fällt es leicht, sich von der Mutter zu lösen. Aber allzu viel Zeit, dem Kind „über die Schwelle“ zu helfen, bleibt nicht. Dafür sind es schlicht zu viele Kinder. Ich stehe etwas unschlüssig herum. Christiane „schubst“ mich in einen der Gruppenräume und ich setze mich in den Kreis der Kinder. Das Mädchen, das neben mir sitzt, staunt mich an und nimmt die kommenden 10 Minuten nicht mehr den Blick von mir. Gebete und Lieder, begleitet von Bewegungen füllen die 20 Minuten bis zu einer ersten Mahlzeit. Es gibt Obst und einfache Kekse. Ich vermute für etliche der Kinder ist es wirklich die erste Mahlzeit.

In Brasilien liebt man nicht nur Uniformen, sondern auch Hymnen; und es gibt viele: für Brasilien, Bahia, Sobradinho, Kinder … So nehmen alle in dem großen Patio Aufstellung und es wird kräftig geschmettert. Aber man merkt, dass gerade die kleinsten, schnell müde werden oder es noch sind…

Besuch bei den „speziellen“ Kindern

Nach einem Zwischenstopp in der Casa Antonita fahren Guido und ich zu einer Betreuungseinrichtung für Menschen mit starken Einschränkungen, der APAE. Menschen mit Behinderung nennt man in Brasilien auch „pessoas especais“, spezielle Menschen. Guido wurde von einer Mitarbeiterin hierhin eingeladen. Die Einrichtung kooperiert in einigen Dingen mit der Kindertagesstätte Gente Valente. Einige Kinder von hier hat Gente Valente in der Corona-Zeit aufgenommen. Ein Mädchen wollte partout nicht mehr weg. Ein paar Mal im Jahr gibt es gegenseitige Besuche mit gemeinsamen Aktivitäten.

Mir verschlägt es erst einmal die Sprache. In einem Raum mit nacktem Betonfussboden treffen wir auf knapp 10 Personen. Ein Mann in einem Rollstuhl scheint nur aus Kopf und Rumpf zu bestehen. Eine junge Frau mit multiplen spastischen Lähmungen kniet/liegt auf dem Boden. Downsyndrom oder Mikrozephalie gehören zu den „leichteren“ Einschränkungen. Die Leiterin der Einrichtung berichtet von ihrer Arbeit. Ich zähle neben der Leiterin und einer Köchin 4 Mitarbeiterinnen. Dass es einen festen Mitarbeiterstamm hat, betont mit einem gewissen Stolz die Leiterin. Denn die Kommune versucht immer mal wieder, Leute, für die es keine Verwendung gibt, zu ihr „abzuschieben“. Doch ohne ein beträchtliches Engagement und Liebe für diese Menschen ist diese Arbeit in keiner Weise zu schaffen.

Neben dem erwähnten Raum gibt es drei weitere. Hier versuchen Sie eine elementare Bildung. Die Lernmittel stellen sie selbst mit Hilfe von Vorlagen aus dem Internet her. Vieles, was die Leiterin schildert, kennen wir von Marta. Auch hier kämpft ein freier Träger APAS mit der Kommune um die nötigen Mittel. Hinzu kommt, dass solche Entwicklungsstörungen in der Gesellschaft und auch in den betroffenenen Familien wenig Akzeptanz und Verständnis finden.

Am späten Abend wird noch einmal ausführlich mit dem Vorstand über die Stiftung FUNANB und deren Satzung gesprochen. Es ist eine Fortsetzung des Gesprächs der vergangenen Woche. Auch hier wird Guido noch ausführlich berichten.