Reiseeindrücke Brasilien 2015

Am 28.06.2015 reisten die Familie Hinz, Wilma Franke-Evertse von der Partnergruppe SOV in Veere/NL, Janna Hill (20 J.) und ihr Bruder Ruben sowie drei weitere Jugendliche im Alter von 16 Jahren vom Einhard-Gymnasium Aachen nach Brasilien. Der Flug ging ab Amsterdam mit Umstieg in Lissabon. Während des 4-wöchigen Aufenthaltes besuchte die Gruppe die Projekte und Partner von GN in Garrafão und Sobradinho und erhielt ein umfassendes Bild von der Arbeit in den Einrichtungen. Neben vielen Gesprächen mit den Partnern beteiligten sich die deutschen Gäste in Arbeitseinsätzen (vor allem in der Casa Antonita in Sobradinho) bei der Renovierung. Ein viertägiger Besuch von Rio de Janeiro stand am Anfang der Reise, von dem hier zunächst die Rede sein soll.

Die Stadt Rio überraschte mit ihrer überwältigenden Natur und Sauberkeit. Die deutsche Reisegruppe fiel zwar auf, konnte sich aber frei und unbehelligt bewegen. Bei Spaziergängen mussten die Rei­senden immer wieder stehenbleiben, um die unbeschreiblich schönen Aussichten zu genießen und zu fotografieren. Die Hochhäuser, die aus den 30er und 40er Jahren stammen, als Brasilien und insbesondere Rio eine Blütezeit er­lebte, sind für Architekturliebhaber ein Genuss. Genauso wie die Hotels an der Copacabana – hier erwartet man, im nächsten Moment Humphrey Bogart über den Weg zu laufen.
Der Cristo, das Wahrzeichen der Stadt (übrigens auch in den 30er Jahren erbaut), den ja spätestens seit der letzten Fussball-WM jeder in der Welt kennt, hält segnend seine Hände über die Stadt und vermittelt so etwas wie ein Ge­fühl der Geborgenheit. Auch für Einheimische ist er gegenwärtig. Im Bus konnte man gelegentlich beobachten, dass Leute sich bekreuzigten, wenn er in Sicht kam. Bei dem typisch touristischen Programmpunkt, den Berg zum Cristo hinaufzufahren, lässt sich der Cristo aus der Nähe betrachten. Sein ernster, ein wenig strenger Gesichtsausdruck, gleichzeitig seine segnenden und einladenden Arme – wahrhaftig ein Kunstwerk!
Die Schönheit der Stadt und nicht zuletzt die allgegenwärtige Höflichkeit, Freundlichkeit und Gelassenheit der Brasilianer beeindruckten, beschenkten und schlossen die Reisenden für das Land auf.

BusreiseDie zweite Etappe der Reise führte nach Garrafão. Dazu musste zunächst eine 9-stündige Busreise von Rio nach Vitória auf gerader Straße durch eine Kulisse mit einem grasbewachsenen Berg nach dem anderen absolviert wer­den. Am Busbahnhof in Vitória warteten bei der Ankunft schon zwei Lehrerinnen der EFA und ein Fahrer, um die deutschen Gäste in einem VW-Bus und deren Gepäck in einem Pick-Up nach Garrafão zu bringen. Die 3-stündige Fahrt führte über eine kurvenreiche Landstraße durch ein Mittelgebirge, das an vielen Stellen an Deutschland erin­nert. Hier gibt es beschauliche kleine Bauernhöfe, Bäche, Wald, aber auch immer wieder Bananenstauden, Palmen und Bäume mit farbenprächtigen Blüten.

Die Zeit in Garrafão war von Gastfreundschaft geprägt. Die Gastgeber überraschten mit ihren Sprachkenntnissen. Viele konnten sich in Deutsch oder Niederländisch Schülerverständlich machen. Schüler und Lehrer der EFA luden mit einem reichen Fundus an schwungvollen, rhythmischen Liedern – natürlich auswendig – zum Mitmachen ein. Die ersten Gittarrenklänge waren schon morgens um zehn nach sechs zu hören. Obwohl die tägliche harte Arbeit der Einheimischen auf ihren Höfen es allenfalls am Sonntag erlaubt, sich für den Gottesdienst oder auch mal für ein Dorffest frei zu nehmen, ist der Elternvertreter der Schule bei vielen Gelegenheiten in die EFA gekommen, um die deutsche Gruppe zu begleiten. Besuche auf dem Land zeigten, wofür die Bauern so hart arbeiten müssen: Die sauberen, liebevoll gepflegten, Mandarinenstillen Bauernhöfe in traumhaft schöner Umgebung, wo man eingeladen war, die Man­darinen, die sich das ganze Jahr über ernten lassen, direkt vom Baum zu genießen, erinnerten an paradiesische Zustände.
Auffallend war, dass besonders die brasilianischen Männer in Garrafão sehr traurig wirkten. Eine Traurigkeit, die möglicherweise aus immer wieder enttäuschten Hoffnungen erwachsen sein könnte. Diese Stimmung zeigte sich später auch bei Männern in Sobradinho.

Zum Abschied, den die brasilianischen Lehrer und Schüler gestalteten, trug eine kleine Musikgruppe mit zwei Gitarren, Rhythmusinstumenten und drei Sängern ein ruhiges, wunderschönes Abschiedslied vor. Die deutsche Gruppe stimmte als Antwort das brasilianische Lied “Irá chegar” an. Dann wurden die Gast- und Abschiedsgeschenke überreicht. Die Präsente, die Wilma aus den Nieder­landen mitgebracht hatte, kamen Holzschuhtanzbesonders gut an. Ein Paar Holzschuhe für die holländische Tanzgruppe der EFA, drei Halstücher mit einem Verschluss aus einem kleinen Paar Holzschuhe für die Lehrerinnen und etwas für das geplante kleine Museum der Schule. Das Paar Holzschuhe war übrigens von dem gleichen Handwerker hergestellt worden wie die vierzig Paare, die die Schule bereits besitzt und aus Rio bekommen hat – der Handwerker wohnt nur wenige Straßen von Wilma entfernt. Die Herzlichkeit, mit der die Reisegruppe in der EFA-Gemeinschaft von Schülern, Eltern und Lehrern aufgenommen worden war, ließ alle beschenkt abreisen.

Die dritte und letzte Reiseetappe führte über Vitória nach Sobradinho. Vitória ist trotz Weiterflugder wunderschönen Landschaft, in der es liegt, recht unansehnlich. Armut und Kriminalität sind allgegenwärtig. Auch bei Tag kann man sich nicht frei ohne Taxi durch die Stadt bewegen – zum Glück musste nur eine Fahrt vom Hotel zum nahe gelegenen Flughafen gemacht werden. Von Vitória ging es weiter mit Zwischenlandung in Salvador nach Recife, das übrigens einen sehr schönen Flughafen hat (mit Liveband, die Musik aus Bahia spielte), und mit dem nächsten Flugzeug nach Petrolina. Bei diesem Flug konnte man sogar den Staudamm von oben sehen, die trockene Caatinga und grüne Plantagen.
Staudamm1In Petrolina wartete eine Überraschung: Bei den brasilianischen Gastgebern, die die deutsche Reisegruppe vom Flughafen abholte und gleichzeitig die Gruppe aus Wachtendonk (kath. Partnerkirchengemeinde von Sobradinho) verabschiedete, befanden sich auch Schwester Angelica und Schwester Reginalda (Gründerinnen der KiTa in Sobradinho und bis heute wichtige Unterstützerinnen). Sie waren extra aus Minas Gerais angereist, um die Deutschen zu treffen. Am nächsten Tag fuhren beide nach einem gemeinsamen Mittagessen wieder ab. Der Abschied fiel schwer.

Die Ankunft in Sobradinho erfolgte noch bei Tageslicht. Die Einfahrt über den FlusslaufStaudamm, die Schönheit des Rio Saõ Francisco und des Stausees – bei letzterem mit bitterem Beigeschmack (durch den Staudammbau verloren seinerzeit viele Kleinbauern ihr Land und ihre Lebensgrundlage) – waren beeindruckend. Auf dem Fluss fielen die zahlreichen Inseln auf. Sie waren wegen der lang anhaltenden Trockenheit zum Vorschein gekommen. Es hat seit vier Jahren (!) kaum geregnet, der Fluss steht so tief wie nie. Statt der sechs vorhandenen Turbinen werden im Kraftwerk nur noch zwei betrieben und diese mit weniger Wasser als normalerweise. Während des Aufent­halts in Sobradinho wurde mehrfach stundenweise das Wasser abgestellt. Ob das schon eine Maßnahme zum Wassersparen war? Jeder in Sobradinho weiß: Wenn es inner­halb der nächsten drei Monate nicht regnet, müssen die Planta­gen schließen. Einige Kleinbauern haben schon seit einiger Zeit kein Wasser mehr. Wenn das Kraftwerk des Staudamms nicht mehr arbeitet, muss der Strom für die Region in teuren Ersatzkraftwerken erzeugt werden. Schon jetzt ist er doppelt so teuer wie vor einem Jahr. In diesem Zusammenhang ist auch zu berichten, dass das höchst umstrittene Projekt zur Umleitung des Rio São Francisco, das bereits viele Millionen verschlungen hat, inzwischen zur Bauruine geworden ist. Die Entscheidungsträger haben eingesehen, dass es nichts mehr zum Umleiten gibt.

Die Tage in Sobradinho verbrachten die Jugendlichen u.a. damit, beim Anstreichen der CAA zu helfen, die am Ende des Aufenthaltes zartrosa war. Außerdem gaben sie den Mädchen einen Englischkurs. Daneben besuchten sie den Kindergarten und halfen bei der Betreuung der Kleinen.
Die Erwachsenen nutzten die Zeit in Sobradinho u.a., um die Leiterinnen der KiTa und der CAA zu einem Treffen mit dem Präfekten zu begleiten. Anwesend waren außer dem Präfekten seine rechte Hand, die „Sekretärin“ für Bildung und ein Stadtabgeordneter (der mit seinen Gedanken eher bei Facebook auf seinem Smartphone zu sein schien). Nach dem, was über den Präfekten im Vorfeld erzählt worden war (viele Versprechen, kaum Taten; das Krankenhaus musste bereits wegen der ausbleibenden Gehälter geschlossen werden), war das Klima des Treffens überraschend gut. Ein verbindlich, aber auch unbedarft wirkender Mann, der auch der nette Nachbar von nebenan sein könnte und der mit der KiTa-Leiterin auf Tuchfühlung ging. Wenn man nicht gewusst hätte, dass es gerade um die Existenz des Kin­dergartens ging, hätte man meinen können, es treffen sich zwei alte Freunde. Die gute Atmosphäre trug aber offen­bar zu einem guten Ergebnis bei. Der Präfekt machte einige, unerwartete Zugeständnisse. Grund zur Euphorie be­steht aber nicht, denn Versprechen geben und halten sind in der brasilianischen Politik noch viel weiter auseinander als bei uns. Daher wird es auch weiter­hin notwendig sein, nach anderen Geldquellen zu suchen.

Verf. Viola Hinz

Seminar Gemeinwohlökonomie

Ist die Gemeinwohlökonomie ein Wirtschaftsmodell der Zukunft ?

Programm-Faltblatt

Am 17. März 2012 trafen sich ab 11 Uhr 6 Mitglieder von Globale Nachbarschaft e.V. und 2 Mitglieder des Vereins Perspectiva – Partnerschaft Osteuropa bei Familie Büscher in Overath, um sich mit dem Thema „Gemeinwohlökonomie“ kritisch auseinander zu setzen.

Gibt es Wirtschaftsmodelle, die Perspektiven eröffnen angesichts von realsozialistischen Irrwegen und den Krisen des Kapitalismus ?

Als Grundlage diente das im August 2010 erschienene Buch von Christian Felber „Die Gemeinwohl-Ökonomie – ein Wirtschaftsmodell mit Zukunft“,. Das darin vorgestellte Modell war in zahlreichen Vorträgen und mit Hilfe von zwei Dutzend (Attac-) Unternehmern und Unternehmerinnen weiterentwickelt worden. Ziel des Buches ist es, dem notorischen Diskussions-Dilemma „Wer gegen den Kapitalismus ist, ist für den Kommunismus“ zu entrinnen und eine konkrete Systemalternative vorzulegen.

Nach einer visuellen Vorstellung des Autors Christian Felber und einem Hörfunkinterview beschäftigten sich die Teilnehmer mit wesentlichen Einzelheiten des von Christian Felber entwickelten Modells.

  • Die Gemeinwohlökonomie beruht auf denselben mehrheitsfähigen Werten, die unsere Beziehungen gelingen lassen: Vertrauensbildung, Kooperation, Wertschätzung, Demokratie, Solidarität. Nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen sind gelingende Beziehungen das, was Menschen am glücklichsten macht und am stärksten motiviert.
  • Der rechtliche Anreizrahmen für die Wirtschaft wird von Gewinnstreben und Konkurrenz umgepolt auf Gemeinwohlstreben und Kooperation. Unternehmerischer Erfolg wird umdefiniert von Gewinn- auf Gemeinwohlstreben.
  • Das Gemeinwohl wird in einem breiten demokratischen Prozess von unten vordefiniert, später an einen direkt gewählten Wirtschaftskonvent übergeben und per Volksabstimmung in der Verfassung verankert.
  • Gemessen wird das Gemeinwohl in der neuen Hauptbilanz aller Unternehmen: der Gemeinwohlbilanz. Je sozialer, ökologischer, demokratischer und solidarischer Unternehmen agieren und sich organisieren, desto bessere Bilanzergebnisse und höhere Gemeinwohl-Stufen erreichen sie.
  • Die Unternehmen mit den besten Gemeinwohlbilanzen erhalten rechtliche Vorteile, z.B. niedrigere Steuern, geringere Zölle, günstigere Kredite, Vorrang beim öffentlichen Einkauf und bei Forschungsprogrammen. Dadurch können sie ihre höheren Kosten decken.
  • Die Finanzbilanz wird zur Nebenbilanz. Kapital wird vom Zweck zum Mittel. Es dient nur noch dazu, den neuen Unternehmenszweck (Beitrag zum allgemeinen Wohl) zu erreichen. Bilanzielle Überschüsse dürfen verwendet werden für Investitionen (mit sozialem und ökologischem Mehrwert), Rückzahlung von Krediten, Rückstellungen in einem begrenzten Ausmaß, Ausschüttung an die MitarbeiterInnen (bis zum 20-fachen des Mindestlohnes) sowie für zinsfreie Kredite an Mitunternehmen. Nicht verwendet werden dürfen Überschüsse für Ausschüttung an Personen, die nicht im Unternehmen  mitarbeiten, feindliche Aufkäufe anderer Unternehmen, Investitionen auf den Finanzmärkten.
  • Da Gewinn nur noch Mittel, aber kein Ziel mehr ist, können Unternehmen ihre optimale Größe anstreben. Sie müssen nicht mehr Angst haben, gefressen zu werden und nicht mehr wachsen, um größer, stärker oder profitabler zu sein als andere. Alle Unternehmen sind vom allgemeinen Wachstums- und vom wechselseitigen Fresszwang erlöst.
  • Die Einkommens- und Vermögensungleichheiten werden begrenzt: die Maximal-Einkommen auf das 20-fache des gesetzlichen Mindestlohns, Privatvermögen auf 10 Mio Euro, das Schenkungs- und Erbrecht auf 500.000 Euro pro Person, bei Familienunternehmen auf 10 Mio Euro pro Person. Das darüber hinaus gehende Erbvermögen wird als „Demokratische Mitgift“ an alle Nachkommen der Folgegeneration verteilt: Gleiches „Startkapital“ bedeutet höhere Chancengleichheit.
  • …….. Demokratische Allmenden sind Grundversorgungsbetriebe im Bildungs-, Gesundheits-, Sozial-, Mobilitäts-, Energie- und Kommunikationsbereich, die „Daseinsvorsorge“. Eine wichtige Demokratische Allmende ist die „Demokratische Bank“. Sie dient wie alle Unternehmen dem Gemeinwohl und wird wie alle Demokratischen Allmenden vom demokratischen Souverän kontrolliert und nicht von der Regierung. Ihre Kernleistungen sind garantierte Sparvermögen, kostengünstige Kredite, ökosoziale Risikokredite sowie kostenlose Girokonten. Die Finanzmärkte in der heutigen Form wird es nicht mehr geben.
  • Die repräsentative Demokratie wird ergänzt durch direkte Demokratie und partizipative Demokratie. Der Souverän muss seine Vertretung korrigieren, selbst Gesetze initiieren und beschließen, die Verfassung ändern und wichtige Bereiche der Wirtschaft – wie die Banken – kontrollieren können.
  • ………….Da in der Gemeinwohl-Ökonomie unternehmerischer Erfolg eine ganz andere Bedeutung haben wird als heute und deshalb ganz andere Führungsqualitäten gefragt sein werden, werden die sozial verantwortlichsten und kompetentesten, die zum Mitgefühl und zur Empathie fähigen, die über sich hinaus sozial und ökologisch denkenden und fühlenden Menschen tendenziell nachgefragt werden und als Vorbilder gelten.

Der Thementag schloss aus Anlass des Geburtstages der Gastgeberin am nächsten Tag mit einem gemütlichen Beisammensein und Grillen.